Ruhe in Frieden, großer Spitz!


Über das Verschwinden einer uralten Hunderasse


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Vor vielen Jahrtausenden begann der Mensch, den Hund auf Gebrauchseigenschaften zu selektieren. Dies veränderte ihn nachhaltig in seinem Verhalten - und zwangsläufig in seinem Aussehen, weil die Funktion immer die Form vorgibt ("Form follows function"). Diese Hunde des Menschen entwickelten nun Fähigkeiten, die sich ideal zum Jagen, zum Treiben von Vieh, zum Ziehen von Lasten oder zum Bewachen menschlichen Besitzstandes eigneten. Auch heute leben die Nachkommen dieser hoch spezialisierten Hunde noch, die man gemeinhin "Landschläge" oder auch "Naturrassen" nennt.

 

Einer dieser Landschläge entstand vor langer Zeit in Deutschland und man taufte ihn Spitz oder auch Pommer. Oberstes Kriterium seiner Zucht war immer und ausschließlich seine Eignung als Gebrauchshund - und über die Jahrhunderte hinweg wurde auf diesem Wege ein geborener Wachhund geschaffen, wie er perfekter nicht hätte sein können.  

 

Dieser Spitz war der Hund des einfachen Volkes und wurde von ihm immer hoch geschätzt, denn er war ein echt rustikaler und anspruchsloser Geselle; zuverlässig, klug, mutig und sehr selbstsicher, von kompakter Statur, mit einem pflegeleichten Fell. Treu und unbestechlich bewachte er das Hab und Gut seiner Besitzer, sein großer Mut und seine Schärfe machten ihn zu einem gefürchteten Wächter. Bis vor kurzem. 

 

Seit einigen Jahren schon wird dieser alte Wächter durch schlechte Zucht sich selbst immer unähnlicher. Zucht, die zwar im Kern nicht schlecht gedacht, jedoch schlecht gemacht ist und dazu führt, dass er immer mehr zum  "Show- und Sofahund"  degeneriert. Hört oder liest man alte Geschichten über den Spitz vergangener Zeiten, stellt man schnell fest, dass viele der heutigen Spitze vom Verhalten und Aussehen nur noch wenig gemeinsam haben mit dem großen Spitz, den unsere Eltern und Großeltern so sehr schätzten.

 

Nur, warum will man den Spitz eigentlich verändern? Warum lässt man ihn nicht sein, wie er immer war? Ich habe den Eindruck, es gerade die Liebe zum Spitz ist, die gutgemeinte Absicht, ihn vor dem Aussterben zu bewahren, die viele Züchter zu der Ansicht bringt, dass nur die Anpassung der Rasse an den herrschenden Zeitgeist den Spitz über die Moderne hinweg retten könne. Ich habe auf Züchterseiten Aussagen wie diese gelesen, dass es in der heutigen Gesellschaft immer weniger Platz für reine Wachhunde gäbe, die aufgrund ihrer misstrauischen (=spezialisierten) Art oftmals besonders in den Städten an ihre Grenzen stoßen. Daher sei es unabdingbar, die Rasse an die moderne Welt anzupassen - auch weil die Nachfrage nach großen Spitzen stark zurückgegangen ist.

 

Fragt man Züchter, warum sie eigentlich züchten, lautet die Antwort zumeist in dieser Art: 

 

"Natürlich um die Rasse zu verbessern!”. 

“Wie verbesserst du die Rasse?” 

“Durch die Verbesserung von Gesundheit, Temperament und Körperbau!”

 

Dies ist ein gutgemeint - aber ein Trugschluss. Statt die Hunderasse verbessern zu wollen, wäre es durchaus zielführender, sie zu ERHALTEN. Was das bedeutet? Etwas zu erhalten bedeutet, es vor dem Verfall, vor der Degeneration zu bewahren. Es bedeutet, alte Linien sorgfältig vor dem Aussterben zu bewahren, sie zu beschützen und sie zu hüten wie einen Schatz aus vergangener Zeit. Das Vorhaben, den Deutschen Spitz durch Anpassung an den aktuellen Geschmack über die Moderne hinweg retten zu wollen, steht hingegen auf tönernen Füßen. Verantwortungsvolle Zucht bedeutet den Erhalt einer Rasse - und nicht Wesen, Größe, Farbe etc. "modisch" verändern zu wollen. War der Deutsche Spitz nicht jahrhundertelang perfekt - so, wie er ist?

 

Für einen Züchter sollte züchten zudem nicht nur nicht die ausschließliche quantitative Vergrößerung der Spitzpopulation bedeuten, sondern in der Hauptsache die Erhaltung von typischen Merkmalen der Rasse. Nicht jedoch ihre Entkernung. Klasse statt Masse. In guter Absicht verkennen viele letztendlich Folgendes: Wird dem Spitz sein typisches Wesen im Rahmen der sogenannten Anpassung an die heutige Zeit abgezüchtet, dann stirbt er am Ende doch aus! So oder so. 

 

Natürlich entspricht es durchaus der Realität, dass die großen Spitze nicht sehr populär sind. Dass sie vom Aussterben bedroht sind. Dass sie keine Jedermannshunde sind. Dennoch wird ein gutgemeintes Weichzeichnen des Deutschen Spitzes durch Veränderung seiner Merkmale eben nichts nützen, denn das, was da aktuell in den Wurfkisten heranwächst, hat rein gar nichts mehr mit dem Deutschen Spitz zu tun - nicht im Aussehen und nicht im Verhalten! Wer nur noch das Äußere fokussiert, wer nur noch auf möglichst bunte Fellfarben züchtet, entkernt den Spitz, züchtet ihn aus sich selbst heraus. Wer mit jagenden Hunden züchtet, sollte sich vor Augen halten, dass das Aussehen des Deutschen Spitzes untrennbar mit seinem Wesen verknüpft ist (eben "Form follows function"). So basiert der fehlende Jagdtrieb des Spitzes ganz wesentlich darauf, dass er einen extrem kurzen Rücken und gerade Haxen hat, die es ihm verunmöglichen, lange Strecken ausdauernd zu laufen (siehe "Der Deutsche Spitz" Nr. 27, Seite 28). Dadurch kann er nicht hetzen, selbst wenn er es wollte. Leider wird gerade dieser ungemein wichtige Aspekt durchweg von allen Seiten ignoriert. Das Blöde ist nur, dass ein einmal wieder in die Population reingeholter Jagdtrieb so leicht nicht mehr rauszuzüchten ist, ebenso wie der zu lange Rücken. 

 

Und was auch nicht vergessen werden darf: Wir haben einen gültigen Rassestandard. Deutsche Spitze, die abdampfen, um zu wildern, entsprechen dem Standard nicht mehr und müssten genau genommen als zuchtuntauglich aussortiert werden. Gleiches gilt für Spitze, die sich vor Freude über fremde Menschen geradezu überschlagen und deren Besitzer nicht müde werden, zu betonen, was für ausgesprochene Allerweltsliebchen ihre Hunde doch sind. Diese Hunde entsprechen nicht dem, was der Standard fordert, denn dieser spricht ganz eindeutig von einem misstrauischen Hund. Ganz ausgekochte Schlitzohren versuchen es an dieser Stelle natürlich gern mit Rabulistik (=Wortklauberei): Man müsse doch erstmal definieren, was beispielsweise Misstrauen genau sei. Öhm ja, netter Versuch, aber Misstrauen ist Misstrauen und wenn man die Eigenschaft sieht, erkennt man sie auch. 

Auszug aus dem FCI Standard Nr. 97/12.11.2019/D - Deutscher Spitz:

"Der Deutsche Spitz ist stets aufmerksam, lebhaft und außergewöhnlich anhänglich gegenüber seinem Besitzer. Er ist sehr gelehrig und leicht zu erziehen. Sein natürliches Misstrauen Fremden gegenüber und sein fehlender Jagdtrieb prädestinieren ihn zum idealen Begleit- und Familienhund und zum Wächter für Haus und Hof. Er ist weder ängstlich noch aggressiv. Wetterunempfindlichkeit, Robustheit und Langlebigkeit sind seine hervorragendsten Eigenschaften."

Ein weiteres Problem, das auftritt, wenn Züchter nach Gutdünken und nicht nach Rassestandard züchten, betrifft den unbedarften Hundekäufer: Dieser liest sich in den Standard ein und geht beim Kauf des Hundes davon aus, dass er auch bekommt, was draufsteht. Leider können allgemeinverbindliche Aussagen über den Charakter des jeweiligen Spitzes nicht mehr gemacht werden, wenn sich ein Großteil der Züchter nicht mehr am verbindlichen (!) Rassestandard orientiert. 

 

Eine Hunderasse ist eben keine Kantine, in der sich jeder nur das auftut, was ihm schmeckt. Der eine möchte gern die wildesten Farben züchten, den nächsten stört der Jagdtrieb nicht, weil er seine Hunde ja eh nie ableint, ein anderer verzichtet nur zu gern auf Mannschärfe bei seinen Wachhunden, da er diese Eigenschaft als nicht mehr handhabbar empfindet. Doch ein Wachhund, der in letzter Instanz nicht nach vorn geht, sondern nur anschlägt und sich dann auf den Rücken wirft, um sich das Bauchi vom Einbrecher kraulen zu lassen, ist eben kein Wachhund, Punkt. Wer am Deutschen Spitz rassespezifische Eigenschaften züchterisch verändern (wohl eher verschlimmbessern) will, weil er einige ihrer Aspekte nicht ganz so gern mag oder für nicht mehr zeitgemäß hält oder mit ihrer nicht Herr wird, der möge sich doch bitte nach einer passenderen Hunderasse umschauen! Es gibt derer so, so viele....

 

Auch muss eine jede Hunderasse im Auge der Öffentlichkeit stehen und ihr einen echten Mehrwert bieten können. Mehrwert im Sinne von Ecken und Kanten. Sei es als Ausstellungshund, als Arbeitshund, als Jagdhund, als Therapiehund, als Hütehund, als Diensthund, als Schoßhund, als Sofahund oder aber - wie unser großer Spitz - als unbestechlicher Wachhund. Die Rasse muss für die Öffentlichkeit etwas Besonderes sein, damit man sie besitzen möchte. Wir sollten die einzigartigen und wertvollen Qualitäten unserer Spitze nicht nur schätzen und erhalten, sondern auch bewerben - und nicht sie im Zuge der sogenannten "Modernisierung" wegzüchten. Eine Hunderasse, deren Wesenszüge nur noch marginal und schwammig vorhanden sind, ist auch nicht mehr greifbar - sie wird vergessen.

 

Vor Kurzem wurden mir zu meinem Blog-Artikel "Eine merkwürdige Hunderasse?!" viele Kommentare zugesandt. Hier mal ein paar Beispiele, an welche Rassen "Nicht-Spitz-Menschen" denken, wenn sie einen Wolfsspitz oder einen Großspitz sehen:  

Traurig, aber nichts desto weniger wahr: Kein Schwein kennt den großen Spitz mehr. Selbst auf moderne "Rassen", wie den Elo, kommen die Leute vorher. Das sollte so nicht sein und das sollten wir alle ändern.

 

Der Spitz als Wachhund ist einigen vielleicht unbequem, aber genauso sollte ein Wachhund halt auch sein: unbequem, vor allem für zwielichtige Gestalten. Eine Rasse mit Ecken und Kanten, kein Everybody's Darling. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der es absehbar ist, dass die Zukunft härter und unbequemer werden wird, freue mich sehr darüber, im großen Spitz einen Hund zu haben, der klug, pflichtbewusst und anspruchslos ist - und sein Leben geben würde, um das meinige zu beschützen. Das jedoch geht nicht ohne eine gewisse Schärfe im Hund, welche sich jedoch erzieherisch durchaus regulieren lässt. Bis vor Kurzem bevorzugte man hier in Deutschland sogar sehr scharfe Spitze mit viel Temperament. Noch 1969 äußerte sich der damalige Hauptzuchtwart im VfDSp Werner Jäger wie folgt über den Spitz: 

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"Wenn wir auch aus dem Ausland kritisiert werden, daß unsere Groß- und Wolfsspitze zu angriffslustig sind, so bin ich absolut gegen das Züchten mit wesensschwachen Elterntieren. Mir ist ein aggressiver Spitz lieber als ein lammfrommer Typ. Selbstverständlich ist ein guterzogener großer Spitz für Richter und Publikum eine Augenweide. Allzu oft musste ich aber schon die Erfahrung machen, daß hinsichtlich Pflege und Erziehung zu viel des Guten getan wurde: wenig Temperament, keine Wesensfestigkeit; und äußerlich: liegendes, weiches Haar." 

 

Auch war der Deutsche Spitz lange in der FCI-Gruppe 2b (Wach- und Schutzhunde ohne Arbeitsprüfung) zu finden, bis irgendwelche Blitzbirnen auf die Idee kamen, ihn in die FCI-Gruppe 9 (Schoß- und Gesellschaftshunde) zu stecken. Der Deutsche Spitz - der geborene Wächter schlechthin - als Schoßhund??? Empörte Vereinsmitglieder sorgten schließlich dafür, dass der Spitz wieder in seine alte Rubrik zurückgestuft wurde - nur um dann erneut bei den Schoßhunden zu landen. Dieses Spiel ging zwischen 1969 und 1979 ein paar mal hin und her. Schließlich wurde auf Betreiben des Schweizers Dr. Hans Räber ("Enzyklopädie der Rassehunde") die FCI-Rubrik 5 "Spitze und Hunde vom Urtyp" gegründet, in welcher der Deutsche Spitz seit 1990 vertreten ist. 

  

Übrigens entbehrt auch die einseitige Fixierung vieler Züchter auf die Fellfarbe (die sogenannten "Buntzuchten") jeder Grundlage: Die Andersfarben stellten auch in früheren Zeiten (und zwar weit vor der Farbreinzucht) nur einen sehr übersichtlichen Anteil an allen Farben, der größte Teil der Hunde war reinfarbig- eben, weil ihre Fellfarbe kein Zufall war oder so hübsch aussah, sondern weil sie an bestimmte Aufgabengebiete gekoppelt war. 

Wie kann man nun Fehlschlüsse dieser Art vermeiden? Mein Vorschlag lautet schlichtweg: selbst recherchieren, selbst lesen, selbst denken. Weniger darauf bauen, was andere einem erzählen oder was man in irgendwelchen Foren liest. Das wäre doch ein Anfang. Denn auch langjährige Züchter oder Menschen, die schon 23 Spitze besessen haben, können durchaus überhaupt keine Ahnung von ihrer Hunderasse haben. Meine Oma hat jahrzehntelang Zwergpudel im Verein gezüchtet und kann ihrem aktuellen Pudel nicht mal eine Knabberstange abnehmen, ohne sich mit einem Kissen bewaffnen zu müssen.

 

Achtung!

Dieser Artikel ist kein Angriff, sondern ein Weckruf. Er richtet sich nicht GEGEN bestimmte Züchter, sondern ist geschrieben FÜR Großspitz und Wolfsspitz. FÜR unsere älteste Hunderasse und FÜR ihren Erhalt. Daher, lieber Züchter: Lass' bitte keine Mode oder einen Trend entstehen und zerstöre die alten Linien. Halte sie fest und schütze sie!

 

Und wenn er nicht gestorben ist, dann wacht er auch noch morgen.

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Stand: 16.02.2023

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